Der slowakische Politiker und Querdenker Richard Sulik brachte die Euro-Zone im Jahr 2011 an den Rand des Untergangs. Bereuen will er das nicht, ganz im Gegenteil.
Nicht viele Politiker können von sich behaupten, je eine Währungszone an den Rand des Kollapses gebracht zu haben. Richard Sulik gehört zu ihnen. Zwar ist es jüngst etwas ruhig geworden um den streitbaren Slowaken. Doch im Herbst 2011 hatte der Gründer und Präsident der Partei Freiheit und Solidarität (SAS) mehr als nur die sprichwörtlichen 15 Minuten Berühmtheit. Ganz Europa blickte damals auf das kleine Land, das sich erdreistete, gegen den von der Euro-Elite aufgespannten und als alternativlos präsentierten Rettungsschirm zu opponieren. An der Spitze des Protests stand Sulik. Dem liberalen Überzeugungstäter wollte nicht einleuchten, warum ein Land wie die Slowakei, das weit tiefere Löhne und Renten zahlt als Griechenland, für die frivole Schuldenwirtschaft südeuropäischer Staaten geradestehen sollte.
Finanziell unabhängig
Zwar kam die gigantische Rettungsübung unter ausländischem Druck doch noch zustande. Die Weigerung der mitregierenden SAS brachte aber das slowakische Kabinett zu Fall, und auch Suliks Partei musste Platz nehmen auf der Oppositionsbank. Drei Jahre später blickt der 46-Jährige, der seit diesem Jahr im Europaparlament sitzt, ohne Reue zurück. Er möge Kommunikationsfehler gemacht haben, doch zum damaligen Entscheid stehe er. Über der Euro-Zone braue sich eine Katastrophe zusammen. Die Schuldentürme würden stetig wachsen, dank Tiefstzinsen tue man dennoch so, als habe man die Sache im Griff. Doch ohne den Austritt von Ländern wie Griechenland sei die Krise des Euro-Raums nicht lösbar.
Was müsste anders gemacht werden? Erstens würde Sulik nicht länger Gratisgeld anbieten. Er plädiert für einen langsamen Anstieg der Zinsen. Wenn dies eine Rezession von vielleicht zwei Jahren auslöse, sei dies weniger schlimm als die schleichende Enteignung, die mit der derzeitigen Geldschwemme einhergehe. Zweitens würde er nicht länger gegen Deflation ankämpfen. «Deflation ist gut, weil es die Schuldner bestraft und die Verantwortungsbewussten belohnt.» Dass Konsumenten in einem deflationären Umfeld ihre Kaufentscheide verzögern, lässt Sulik nicht gelten. Das widerspreche dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Die Nachfrage steige mit sinkenden Preisen. «Deflation ist kein Schreckensszenario.»
Sulik spricht mit wachem Blick und Lust an der Provokation. Und er tut dies in perfektem Deutsch. So emigrierte seine Familie – der Vater war Zahnarzt, die Mutter Rechtsanwältin – 1980 von der damaligen Tschechoslowakei nach Deutschland. Die Ferien in Jugoslawien wurden dazu genutzt, um auf der deutschen Botschaft ein Durchreisevisum zu beantragen und in Deutschland politisches Asyl zu beantragen. Für die Familie habe sich das gelohnt. Der Vater, der in seiner Heimat ähnlich wenig verdiente wie ein Fliessbandarbeiter, konnte endlich eine Praxis eröffnen. Diese neue Existenz wollten die Eltern und Geschwister nicht aufgeben, als die Berliner Mauer fiel. Die Familie blieb Deutschland treu – nicht aber Richard.
Für ihn sei stets klar gewesen, dass er eines Tages heimkehren würde. Also brach Sulik 1991 sein Betriebswirtschaftsstudium in München ab und zog nach Bratislava. Er traf auf ein Land, das er als unbeackertes Feld beschreibt. Rasch beackerte Sulik das Land und gründete eine Firma für Bürobedarf namens Faxcopy. Zwar erhielt er in den ersten neun Jahren keinerlei Bankkredite und musste alle Investitionen aus eigenen Erträgen finanzieren. Dank satten Gewinnmargen war das aber kein Problem. Nach zehn Jahren zog sich der Selfmademan aus der operativen Führung zurück; 2006 verkaufte er seine Anteile für 4 Mio. €. Davon könne er nun gut leben. Sulik rühmt sich, ein finanziell unabhängiger Mann zu sein.
Ähnlich zielstrebig wie die unternehmerische Karriere erfolgte die Kontaktnahme mit der Politik. Im November 2002 drückte Sulik, der vier Jahr zuvor in Bratislava ein Volkswirtschaftsstudium begonnen hatte, dem slowakischen Finanzminister Ivan Miklos auf einem Empfang ein A4-Blatt in die Hand. Darauf skizziert war die Disposition seiner Diplomarbeit für eine liberale Steuerreform. Drei Wochen später meldete sich Miklos, und ab Dezember arbeitete Sulik als dessen Berater. Die Diplomarbeit wurde zum Regierungsprogramm, mit dem Kernstück einer Flat-Rate-Tax von 19% für Einkommen, Firmengewinne und Konsum. Anfang 2004 setzt man das Reformwerk in Kraft, parallel dazu wurde das Steuersystem von diversen Abgaben und über 100 Ausnahmeregeln entrümpelt.
Sicherheit statt Freiheit
Viele der Reformen, die nach der Einführung einen beeindruckenden Investitionsschub auslösten, sind von linken Nachfolgeregierungen wieder verwässert worden; eingeführt wurde etwa eine «Millionärssteuer» für Besserverdienende. Für die Sozialisten seien die Unternehmer noch immer Klassenfeinde, seufzt Sulik. Als Liberaler reibe er sich die Augen. Zwar habe das Land vierzig Jahre unter kommunistischer Diktatur gelitten. Dennoch überkomme ihn oft das Gefühl, die Slowaken wollten gar keine Freiheit, sondern nur Sicherheit, etwa eine vom Staat zugeteilte Wohnung und Arbeitsstelle. Das mache das Leben für liberale Parteien wie die SAS, die hart an der Fünfprozenthürde kratzt, entsprechend schwer.
1. http://www.nzz.ch/wirtschaft/deflation-ist-gut-1.18426141